Der Pawlow’sche Aufräum-Reflex

Sep 25, 2014

Der Pawlow’sche Aufräum-Reflex

Sep 25, 2014

Als ich es neulich zum ersten Mal einer Freundin beichtete, wurde ich ganz rot und verschämt dabei….  „Also, ähh, ich muss jetzt mal nach Hause…mein Vater kommt morgen zu Besuch…..und ich muss dringend aufräumen….“

Ich bin 34!!! Und ich denke, ich habe meinen Erwachsenen-Status inzwischen doch umfänglich akzeptiert. Manchmal zähneknirschend, aber doch akzeptiert. Spätestens seit dem Tod meiner Mutter im letzten Jahr bleibt mir auch irgendwie nichts anderes übrig…

Und das Erwachsensein hat ja auch seine Vorteile. Bei allen Unannehmlichkeiten. Ich genieße es z.B., dass mein Vater und ich inzwischen eine sehr „erwachsene“ Beziehung haben. Wir sprechen miteinander, über vieles, und ich bin dabei nicht mehr so sehr „Kind“. Das hat schon was.

Aber trotzdem: Wenn mein Vater seinen Besuch ankündigt (und das ist aufgrund der geografischen Distanz glücklicherweise keine ganz spontane Kiste), dann leitet das – meist in letzter Minute – eine umfangreiche Aufräumaktion ein.

Diese „Konditionierung“ habe ich (leider) auch schon erfolgreich an meine Kinder weitergereicht. Neulich nachmittags: „Mädels, heute abend müssen wir mal wieder so RICHTIG aufräumen.“ „Wieso, kommt Opa zu Besuch?“ ……………………….

Okay, das klingt jetzt ein bisschen so, als würden wir sonst nie aufräumen. Stimmt natürlich nicht. Aber man sieht die alltägliche – nennen wir sie mal – „praktische Gemütlichkeit“ doch ein wenig anders, wenn man sie aus den Augen des Vaters sieht.

Und damit bin ich endlich an dem Punkt, an den ich kommen wollte:

Wieso sehen wir bestimmte Dinge immer noch aus den Augen unserer Eltern??? Hört diese Prägung denn nie auf???

Das Schöne ist ja, dass ich nicht alleine mit dem Thema zu sein scheine. Auch die Wohnung meiner oben benannten Freundin erscheint in neuem Glanze, wenn die Eltern erwartet werden, und eine andere Freundin lädt ihren Vater überhaupt nur ein, wenn sie vorher genug Zeit hat aufzuräumen.

Und es geht natürlich nicht nur ums Aufräumen! Viele wollen, auch in höherem Alter, ihren Eltern – ob im Haus oder im Beruf – immer noch ihre Schokoladenseiten präsentieren. Wahrscheinlich in Erwartung eines Pawlowschen Leckerlis…..das ironischerweise gerade bei den Eltern, für die man sich extra „schick“ gemacht hat, meistens nicht kommt. Zumindest nicht für die Dinge, die man selbst in den Vordergrund gestellt hat.

Wenn wir das Ganze jetzt eine Ebene höher ziehen, sprechen wir davon, dass wir immer noch für bestimmte Leistungen oder Anstrengungen von einer „höheren Instanz“ gelobt und anerkannt werden wollen. Positiv formuliert: wir genießen auch als Erwachsene noch Anerkennung. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Außer wenn wir uns dafür verstellen müssen und nicht unseren eigenen Antrieben folgen.

Denn gegen eine saubere Wohnung ist – Opas Besuch hin oder her – natürlich nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Aber gegen eine Karriere, die ich verfolge, weil ich glaube, sie macht meine Mutter glücklich – daran ist ziemlich viel auszusetzen.

Nicht immer sind unsere Eigen-Motivationen und Prägungen so einfach auseinanderzuhalten wie in meinem Aufräum-Beispiel. Wo hört meine Prägung auf, und wo fängt meine ganz eigene Identität an? Sehr schwieriges Thema. Wahrscheinlich für immer.

Was ich jedenfalls weiß, ist, dass ich mich in einem ordentlichen Haus sehr wohl fühle. Aber das Aufräumen fühlt sich sehr viel besser an, wenn ich es für mich mache. Wenn ich mein eigenes Bedürfnis dahinter spüre (man nennt das auch intrinsische Motivation). Genau dieses Bedürfnis in mir zu spüren, das ist die größte Motivation – und nur dann befriedigt auch das Ergebnis. Egal, ob es ums Aufräumen, um Berufliches oder um Hobbies geht. Es ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich, auf diesen wertvollen Unterschied zu achten!

In anderen Bereichen habe ich es durchaus geschafft, mich von äußeren oder elterlichen Erwartungen zu „emanzipieren“. Zumindest arbeite ich daran. Ob es mir in dem Punkt des Aufräumens jemals gelingen wird, sei dahingestellt.

Ich freue mich jedenfalls – jetzt und in Zukunft – auf alle Besuche meines Vaters. Solange er NIEMALS auf die Idee kommt, in unseren Keller zu gucken…

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